„Wir müssen zuerst unsere eigenen Ängste lösen …“

Lama Yeshe Sangmo, buddhistische Nonne in der Karma Kagyu Tradition, konzentriert sich in ihrer Lehrtätigkeit neben der Vermittlung der traditionellen Inhalte der Karma-Kagyu-Schule auf die Themen Tod und Sterben, Achtsamkeit und Mitgefühl und den Umgang mit Gedanken und Emotionen im Alltag. Sie hat 2008 zum ersten Mal ein Wochenende für HospizbegleiterInnen in Wien geleitet, war seither mehrere Male zu Gast und wird Ende September 2013 wieder einen Abend-Workshop anbieten (Zur Veranstaltung klicken oder als pdf downloaden). Im Gespräch mit dem Mobilen Hospiz fasst sie die wichtigsten Punkte in der Begleitung so zusammen.

Was ist aus buddhistischer Sichtweise am wichtigsten, wenn wir Menschen in der letzten Phase ihres Lebens begleiten?
Es ist entscheidend, nicht die eigenen meist unbewussten Projektionen auf Sterbende oder Kranke zu projezieren. Man bleibt bei sich, weiß genau, was man fühlt und verliert sich nicht in Ideen und Konzepten über das Leben.

Wenn angesichts des Leids Gefühle von Ohnmacht, Wut oder Überforderung in einem aufsteigen – was macht man am besten?
Das beste ist, sich schon Zuhause einzustimmen und – als Buddhist – mit der eigenen Praxis zu verbinden.
Andere Menschen können sich mit dem verbinden, wodurch sie entspannen und loslassen können. Man muss also die eigenen Ängste schon vorher durcharbeiten. Man geht nur mit einem ent­spannten Geist zu einer Begleitung.

Trotzdem muss man manchmal auch in der Begleitung mit starken eigenen Emotionen umgehen.
Ja, da gibt es verschiedene Wege, je nachdem, worin man geübt ist. Es gibt Menschen, die so trainiert sind, dass sie das einfach „nackt“ erfahren und wieder gehen lassen können, die Haltung der geistigen Ruhe.
Für jene, die nicht trainiert sind, ist die einfachste Art, Wunschgebete zu machen, wie: „Möge diese Person alle Bedingungen für ein ruhiges Sterben haben.“ Wir können auch für uns selbst Wunschgebete machen, wie: „Möge ich das Gefäß sein, durch das sich dieser Mensch mehr entspannen kann.“

Was unterstützt die Begleiter dabei, mit der Angst vor dem eigenen Tod umzugehen?
Hilfreich ist die Erfahrung von Universalität: Wir sind ja alle betroffen. Ich bin einer von vielen. Dadurch ist Demut dabei, Einfachheit. Ich mache kein Drama daraus. Wenn ich aus meinem eigenen zukünftigen Sterben kein Drama mache, mache ich es auch nicht in der Begleitung. Es geht darum, diese Gesetzmäßigkeit zu erfahren und zu akzeptieren.

Du hast während deiner Vorträge auch gesagt, es sei wichtig, keinen Boden unter den Füßen zu haben …
Es ist unser wahres Sein, dass wir keinen Boden haben. Unsere Grundnatur ist bodenlos, da gibt es nichts wie einen festen Boden oder Sicherheit. Wir können uns darin Zuhause fühlen und damit entspannen. Wenn wir das noch nicht können, halten wir uns an Wunschgebete.
Wichtig ist, eine „Atmosphäre“ zu schaffen. Wenn ich meinen Geist offen und freudig halte –
Liebe und Weisheit sind ja unsere Grundnatur – dann kann sich die Person, die geht, in diese ­Energie einfühlen. Es ist sehr wichtig, so eine ­Energie herzustellen. Aber es ist nicht „Ich“, die das tut. Durch das Andocken an die Buddhanatur ist diese Energie einfach da.

Eine Falle kann sein, vom Mitgefühl ins Mitleid zu ­rutschen. Was rätst du hier?
Echtes Mitgefühl ist aus der Sicht des Buddha immer von Raumhaftigkeit, Leerheit durchdrungen. Es ist nicht parteilich, man will nichts aus der Situation ziehen und es schließt niemand aus. Das Gegenteil ist idiotisches Mitgefühl: Man gibt einer Person etwas, das ihr schadet. Man unterstützt jemanden so, dass es gar nicht gut für ihn ist – weil man selbst etwas haben will, zu feige ist oder mit einer Rolle spielt.
„Mit der Rolle spielen“ ist überhaupt eine große Falle: Immer wenn im Mitgefühl „oben“ und „unten“ auftauchen, kann es sich nicht um Mitgefühl handeln. „Ich kriege mein Leben hin, der andere nicht“ – das ist nicht Mitgefühl.
Deshalb muss man immer wieder auf sich selbst zurückkommen: Fühle ich mich wichtig, will ich vom anderen etwas haben, erfülle ich eine Rolle usw. Das heißt „die Projektion weg vom anderen“ nehmen – die Antwort ist immer in mir. Sieht man wieder und wieder, wie man funktioniert, dann sucht man von innen heraus nach Veränderung – und das ist richtig. Denn wenn ich im Außen Veränderung möchte, treffe ich nicht den Kern, dann will ich nur, dass andere sich verändern. Dem Kranken schenke ich also meine Präsenz ohne Projektionen. Ich schenke meine offene Anwesenheit.

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