Trauer – Zeiten der Wandlung

Zeiten der Wandlung nenne ich Trauer, die Zeit nach einem schweren Verlust, der uns trifft und mehr oder weniger aus den Bahnen unseres Lebens schleudert, aus den gewohnheitsmäßigen, lange eingeübten Denkweisen, Identifizierungen und Verhaltensmustern uns fundamental

(ver)zweifeln lässt.

Trauer ist auch vor allem Krise: Wir befinden uns auf einer Schwelle, in einem liminalen Gebiet, dort, wo das uns Bekannte, vielleicht Geliebte, auf jeden Fall Vertraute, fort ist, sich aufgelöst hat und verschwunden ist und das Neue noch nicht erschienen ist. Darin ist die Trauer eine Zeit, in der das Jetzt auf schmerzhafte Weise beinahe durch und durch von Gewesenem und Noch-nicht-Gewordenem bestimmt ist.

Als kreativer Prozess ist der Aufruhr und die Konfusion in der Trauer die Voraussetzung für die Wandlung, auch wenn sie uns oft „aufgezwungen“ erscheint (Warum jetzt? Warum so? Warum er oder sie? Warum ich? Etc.). Es braucht Zeit, Zärtlichkeit, Mut, Zuwendung und Geduld, dieses Zerbrechen unserer Vorstellungen von Dauer und Identität auszuhalten und Expertin der eigenen Trauer zu werden. Tatsächlich kann uns dies niemand abnehmen – auch nicht die spirituellste Trauerbegleitung. Zu trauern ist unsere eigene (Lebens-)Aufgabe. Und aus gutem Grund: Denn wenn wir die Trauer unterdrücken, weil wir sie fürchten – so die Doyenne der buddhistischen Sterbe- und Trauerbegleitung Christine Longaker – dann können wir nicht mehr aus ganzem Herzen leben.

Trauern ist auch eine Art von psychischer und geistiger Arbeit, bei der wir die anderen brauchen: einen sozialen Rahmen, Rituale und Jahrestage, Unterstützung und Erinnerungs­arbeit, einen Freundeskreis, eine Trauergruppe. Eine bedeutende Rolle spielt dabei (wie der Psycho­analytiker Darian Leader betont) das unbewusste Innenleben der Trauernden, denn akute Trauer löst auch oft alte, unerledigte, aberkannte Trauer mit aus. Es geht darum, mit dem Verlust zu leben, auch mit dem Verlust jener Persona, die wir für die gestorbene Person gewesen sind, einem Teil unserer bisherigen Identität (Mutter, Tochter, Enkelin, Nichte, Freundin, Berufskollegin).

Trauern ist ein schmerzhafter Prozess. Wenn wir willens sind, unsere Trauer zu durchleben, sie zu spüren und auszuhalten in all ihren ­Facetten, so nur mit einem zärtlichen Herzen (tender heart, ­Judith Lief) – das heißt, sich dem Schmerz bewusst zu öffnen und den Übergang, in dem wir uns befinden, als Wandlung zu kontemplieren.

Die Trauerzeit und die Trauerarbeit, wie wir uns selbst und andere dabei begleiten, lässt uns Erfahrungen sammeln, wie wir mit unserer eigenen Furcht und der Angst anderer umgehen können und jene Weite (wieder) finden, die die Enge der Angst verlässt. Darin liegt das Potenzial, liegt der Reichtum und das Geschenk der Trauer.

Trauerbegleitung meint auch: sich selbst begleiten in der Trauer, sie anzuerkennen und sich selber darin kennenzulernen, im eigenen Aufbegehren dagegen, in der Wut, der Verzweiflung, der Erschöpfung, der Fühllosigkeit und Taubheit akuter Trauer. Diese liminale Erfahrung hinterlässt erstaunlicherweise öfter das Gefühl des Verbundenseins als das der Trennung, es bricht die Grenzen auf und mildert Polaritäten.

Freundlichkeit und Güte uns selbst und anderen gegenüber sind die notwendige Basis, so Susan Gillis Chapman, die uns auch durchaus humorvoll rät, in Situationen auch das „Goldene und Gute“ zu sehen (seeing the gold/good in a situation).

Auch die buddhistische Hospizausbildnerin Lisa Freund lenkt den Blick immer wieder auf unsere inneren Ressourcen und Kraftquellen und rät uns, besonders in Lebenskrisen, liebevoll und mutig mit uns selbst zu sein, den Schmerz zuzulassen und hinzuschauen, und verweist auf die buddhis­tische Tradition, die Vergänglichkeit, die Impermanenz, das Unbeständige, den Tod zu kontemplieren, eine Praxis, die uns über die Schwelle in einen Raum führen kann, in dem es keine Angst mehr gibt und wir uns des Unverwundbaren in uns selber, unserer eigenen inhärenten Buddha-Natur in all ihrer Weite, bewusst werden.

„Möge ich durch das Leid, das ich jetzt ertragen muss, allen anderen Wesen, die ich so schätze wie meine eigenen Freunde, nutzen und helfen können. Möge ich das Leid all jener, die krank sind oder Schmerzen haben, trauern oder sterben, auf mich nehmen, und mögen sich alle dauerhaften Glücks und guter Umstände erfreuen. Mögen sie Geistesfrieden und Furchtlosigkeit finden; möge jeder alles haben, was er braucht. Möge alles Leid, das ich jetzt ertragen muss oder noch erleben werde, dazu beitragen, dass alle Wesen in diesem und in zukünftigen Leben Glück erfahren, und mögen sie letztlich Befreiung erlangen.“ (Widmung aus: Christine Longaker: Dem Tod begegnen und Hoffnung finden)

Literatur:

Susan Gillis Chapman:
The five keys to mindful ­communication. Using deep listening and mindful speech to strengthen relationships, heal conflicts & ­accomplish your goals. 2012

Lisa Freund:
Das Unverwundbare.
Wege der Heilung in ­Lebenskrisen. 2011

Stephen Levine:
Healing into Life and Death. 1987

Darian Leader:
The New Black.
Mourning, Melancholia and ­Depression. 2009

Judith L. Lief:
Making Friends with Death.
A Buddhist Guide to ­Encountering Mortality. 2001

Christine Longaker:
Dem Tod begegnen und ­Hoffnung finden. 2005

Tulku Thondup:
Peaceful Death, Joyful Rebirth.
A Tibetan Buddhist Guidebook.
2005

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